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Gisela Bleibtreu-Ehrenberg


German sociologist, ethnologist, and writer further specializing into the fields of psychology, Indo-European studies, religious studies, philology, linguistics, and philosophy, since 1980 also increasingly anthropology.
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Gisela Bleibtreu-Ehrenberg
Als Ursachen für die so oder so vorgefundene Bewertung [einer bestimmten] Sexualität [...] lassen sich generell folgende ausmachen: Die jeweilige Stammestradition mit ihren Mythen, Ursprungs- und Fruchtbarkeitssagen und ferner die kulturellen Charakteristika der fraglichen Gruppe, nun aber geographisch großräumiger betrachtet und im Zusammenhang mit Rasse, Sprache (Sprachfamilie), Erbschaftsverhältnissen (Vater- oder Mutterrecht) sowie ihren ökonomischen und ökologischen Besonderheiten gesehen. Religion, wirtschaftliche Verhältnisse, natürliche Ressourcen sowie das ökologische Umfeld insgesamt (auch dessen Veränderungen im Zeitablauf!) erweisen sich überall als direkt aufeinander bezogen.
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Um es vorwegzunehmen: Jene dargelegte 'kultische Dominanz' der Frau ist kein Matriarchat oder Feminat gewesen; zu der Sozialstruktur, die wir heute 'Patriarchat' nennen, hat es niemals ein weibliches Pendant gegeben. [...] Nichtsdestoweniger sind einige der Befunde, worauf die alten Ethnologen und Soziologen (und Sozialisten) ihre falschen weltumspannenden Theoreme aufbauten, tatsächlich wahr und in der Realität bei einigen Naturvölkern heute noch vorfindbar, nur müssen sie besser gedeutet werden als vordem, nämlich objektiver. Und insofern sollte eher von maternalen denn von matriachalen Kulturelementen gesprochen werden, wenn man solch kulturell-soziale Zusammenhänge unter globalem Aspekt anspricht. [...]

Jedenfalls zählen zu den kulturellen Zügen, um die es hier geht, zusammengefaßt etwa folgende, die heute nurmehr selten irgendwo alle gleichzeitig auftreten:

In der Erbfolgereglung wird die mütterliche Linie gewählt, Kinder gehören stets zur Mutterseite. Eigentum, gelegentlich auch Rechte werden in der mütterlichen Linie vererbt (entweder von der Mutter auf die Tochter oder vom Mutterbruder auf den Schwestersohn). Es herrscht sog. matrilokale Wohnfolge, d. h. der Ehemann tritt in die Sippe der Frau ein und wohnt dort. Bei beiden Geschlechtern herrscht voreheliche sexuelle Ungebundenheit, bei den Mädchen weitgehende Freiheit in der Gattenwahl und große Selbständigkeit in der Ehe mit leichter Scheidungsmöglichkeit für die Frau. Die weibliche Stellung in Kult und Religion ist relevanter als die der Männer. Der biologische Vater gilt als mit seinen Kindern nicht verwandt; seine Stelle nimmt, was Erziehung und Fürsorge betrifft, der Mutterbruder ein: Er ist der soziale Vater für alle Kinder seiner Schwester, auch wenn diese von verschiedenen Vätern stammen. [...]

Das ganze Denkmuster, das hier nur extrem knapp umrissen wird, gibt im Grunde keinen Hinweis darauf, daß die betreffenden Menschen die Zusammenhänge zwischen Zeugung und Geburt gekannt hätten.
Bleibtreu-Ehrenberg
Wo die "Beleidigung sittlichen Gefühls", wo "moralische Begriffe" höher gestellt werden als die eigene, auf rationaler Basis erarbeitete Strafrechtstheorie, dort darf man mit voller Berechtigung von einem totalen Sieg des Vorurteils über die Vernunft sprechen.




Alle Menschen gehören als Gattung zu den gruppenhaft lebenden Geschöpfen, was lebensgefährdende innerartliche Aggression von vornherein ausschließt. Mit anderen Worten: Hätten schon in der Vergangenheit unserer Spezies solch schwere Konflikte [...] geherrscht wie während der letzten rund viereinhalb Jahrtausende und noch gegenwärtig, dann wären wir niemals zu Menschen geworden, sondern längst vorher ausgestorben. Denn Wesen, die als einzelne Individuen im Vergleich zu den vielen Raubtieren, die ihnen nachstellen, derart schwach und hilflos sind wie wir, brauchen Deckung und Rückhalt von anderen der gleichen Art, um überleben zu können. Wir haben weder Klauen noch Reißzähne, noch genug Muskelkraft, um allein unseren großen Freßfeinden erfolgreich Widerstand zu leisten, doch in der Gruppe gelingt es, wenn auch nie ohne selbstlose Opfer und Mut. In jener fernen Frühzeit, als unsere vormenschlichen Ahnen anfingen, in Trupps zu leben, um sich bei Gefahr zusammenzuschließen und einander beizustehen, haben sie ein Verhalten entwickelt, das man 'soziale Intelligenz' nennt: Die Fähigkeit, mit Angehörigen der eigenen Gattung zusammenzuwirken, um das Gedeihen aller zu gewährleisten. Dies Potential haben wir auch jetzt noch, aber es erweist sich als nachhaltig gestört.

[...]

Es muß sich um eine friedliche Welt gehandelt haben, weil die frühen Siedlungen zumeist nicht gegen menschliche Feinde gesichert sind. Für ein, zwei Jahrtausende [nach der letzten Eiszeit] haben Menschen in solchen Lebensverhältnissen offenbar ein glückliches Dasein verbracht.
Bleibtreu-Ehrenberg Gisela
Die Feste der frühen Epochen waren stark sexuell betont. Ihr Höhepunkt war oft das, was man heute Gruppensex nennt und als sozial rein negativ einstuft. Allerdings vermag Sexualität tatsächlich soziale Spannungen abzubauen, und sie 'befriedigt' nicht nur, sie befriedet auch. Der Mensch ist anthropologisch auf viel mehr Sexualkontakte angelegt, als unsere rigide Kultur uns erlaubt, ja, nur als 'menschenwürdig' hinstellt. Die als sogenannte unnennbare Unsittlichkeit abqualifizierten Sexualbräuche vieler Naturvölker wurden von den weißen Kolonialherren oft als willkommene Vorwände instrumentalisiert, um die betreffenden Stämme guten Gewissens zu drangsalieren und zu dezimieren. Künder des Islam im Orient und Vertreter des Konfuzianismus in China bemühten sich ihrerseits ebenso wie Weiße zwecks christlicher Mission, sexuelle Riten möglichst total auszurotten, wo immer sie noch auf sie trafen: Was vordem Kult war, wurde zur Unzucht umdefiniert. Die Praxis hat bei den meisten Naturvölkern dazu geführt, daß die betreffenden Rituale erloschen. Vergleichbare Sitten sind in der Frühzeit auf dieselbe Art verschwunden, zwar nicht aus denselben, aber aus ähnlich strukturierten Gründen, denn in allen patriarchalischen Ethnien gelten orgiastische Riten als sozialschädlich.
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