Um es vorwegzunehmen: Jene dargelegte 'kultische Dominanz' der Frau ist kein Matriarchat oder Feminat gewesen; zu der Sozialstruktur, die wir heute 'Patriarchat' nennen, hat es niemals ein weibliches Pendant gegeben. [...] Nichtsdestoweniger sind einige der Befunde, worauf die alten Ethnologen und Soziologen (und Sozialisten) ihre falschen weltumspannenden Theoreme aufbauten, tatsächlich wahr und in der Realität bei einigen Naturvölkern heute noch vorfindbar, nur müssen sie besser gedeutet werden als vordem, nämlich objektiver. Und insofern sollte eher von maternalen denn von matriachalen Kulturelementen gesprochen werden, wenn man solch kulturell-soziale Zusammenhänge unter globalem Aspekt anspricht. [...]
Jedenfalls zählen zu den kulturellen Zügen, um die es hier geht, zusammengefaßt etwa folgende, die heute nurmehr selten irgendwo alle gleichzeitig auftreten:
In der Erbfolgereglung wird die mütterliche Linie gewählt, Kinder gehören stets zur Mutterseite. Eigentum, gelegentlich auch Rechte werden in der mütterlichen Linie vererbt (entweder von der Mutter auf die Tochter oder vom Mutterbruder auf den Schwestersohn). Es herrscht sog. matrilokale Wohnfolge, d. h. der Ehemann tritt in die Sippe der Frau ein und wohnt dort. Bei beiden Geschlechtern herrscht voreheliche sexuelle Ungebundenheit, bei den Mädchen weitgehende Freiheit in der Gattenwahl und große Selbständigkeit in der Ehe mit leichter Scheidungsmöglichkeit für die Frau. Die weibliche Stellung in Kult und Religion ist relevanter als die der Männer. Der biologische Vater gilt als mit seinen Kindern nicht verwandt; seine Stelle nimmt, was Erziehung und Fürsorge betrifft, der Mutterbruder ein: Er ist der soziale Vater für alle Kinder seiner Schwester, auch wenn diese von verschiedenen Vätern stammen. [...]
Das ganze Denkmuster, das hier nur extrem knapp umrissen wird, gibt im Grunde keinen Hinweis darauf, daß die betreffenden Menschen die Zusammenhänge zwischen Zeugung und Geburt gekannt hätten.
--
Let it be said in advance: This 'ritual dominance' of females was by no means whatsoever a matriarchy, for there never existed a female aequivalent to the social structure we refer to as 'patriarchy' today. [...] Yet, a number of the findings which 19th century ethnologists and sociologists (even socialists) based off their figments of a proto-historical global matriarchy are certainly valid, and some of these features are empirically observable in primitive peoples even today. These findings only require to be interpreted more reasonably, that is less biased to one side or the other. Thus, one is more justified in speaking of maternal rather than "matriarchal" cultural elements when addressing these socio-cultural affairs. [...] The cultural traits we are dealing with here, and that in the modern period have become extremely rare in this combination, may be summarised as the following: Lineal descent was maternal, children were regarded as descendant from the mother. Property, at times also authorisations were passed down the maternal line, either from mother to daughter or from maternal uncle to the son on the sister's side of the family. Residential affairs were matrifocal, i. e. a husband joined the bride's family and he moved in with them. Both sexes were free to be promiscuous prior to marriage, whereas females were free to choose their marital spouse, they were entitled to wide-reaching rights even as wifes, and it was easy for them to get a divorce. The ritual and religious role of females was more relevant than that of males. Biological fathers were not considered related to their children, their role as educator and caretaker was held by the mother's brother who was the social father for all of her children, even if they were fathered by different men. [...] Having only briefly summarised the dominant social order above, none of these traits we know hint in the slightest towards the idea that the people [of the Maternal Megalith Culture] in question were at their time aware of the causal relation between sex and giving birth.
--
Vom Schmetterling zur Doppelaxt, p. 16-18, last sentence p. 15-16Gisela Bleibtreu-Ehrenberg
» Gisela Bleibtreu-Ehrenberg - all quotes »
Für Marcel Proust.—Der Sohn wohlhabender Eltern, der, gleichgültig ob aus Talent oder Schwäche, einen sogenannten intellektuellen Beruf, als Künstler oder Gelehrter, ergreift, hat es unter denen, die den degoutanten Namen des Kollegen tragen, besonders schwer. Nicht bloß, daß ihm die Unabhängigkeit geneidet wird, daß man dem Ernst seiner Absicht mißtraut und in ihm einen heimlichen Abgesandten der etablierten Mächte vermutet. Solches Mißtrauen zeugt zwar von Ressentiment, würde aber meist seine Bestätigung finden. Jedoch die eigentlichen Widerstände liegen anderswo. Die Beschäftigung mit geistigen Dingen ist mittlerweile selber »praktisch«, zu einem Geschäft mit strenger Arbeitsteilung, mit Branchen und numerus clausus geworden. Der materiell Unabhängige, der sie aus Widerwillen gegen die Schmach des Geldverdienens wählt, wird nicht geneigt sein, das anzuerkennen. Dafür wird er bestraft. Er ist kein »professional«, rangiert in der Hierarchie der Konkurrenten als Dilettant, gleichgültig wieviel er sachlich versteht, und muß, wenn er Karriere machen will, den stursten Fachmann an entschlossener Borniertheit womöglich noch übertrumpfen. Die Suspension der Arbeitsteilung, zu der es ihn treibt, und die in einigen Grenzen seine ökonomische Lage zu verwirklichen ihn befähigt, gilt als besonders anrüchig: sie verrät die Abneigung, den von der Gesellschaft anbefohlenen Betrieb zu sanktionieren, und die auftrumpfende Kompetenz läßt solche Idiosynkrasien nicht zu. Die Departementalisierung des Geistes ist ein Mittel, diesen dort abzuschaffen, wo er nicht ex officio, im Auftrag betrieben wird. Es tut seine Dienste um so zuverlässiger, als stets derjenige, der die Arbeitsteilung kündigt—wäre es auch nur, indem seine Arbeit ihm Lust bereitet —, nach deren eigenem Maß Blößen sich gibt, die von den Momenten seiner Überlegenheit untrennbar sind. So ist für die Ordnung gesorgt: die einen müssen mitmachen, weil sie sonst nicht leben können, und die sonst leben könnten, werden draußen gehalten, weil sie nicht mitmachen wollen. Es ist, als rächte sich die Klasse, von der die unabhängigen Intellektuellen desertiert sind, indem zwangshaft ihre Forderungen dort sich durchsetzen, wo der Deserteur Zuflucht sucht.
Theodor Adorno
Wir sind im Wesentlichen noch dieselben Menschen, wie die des Zeitalters der Reformation: wie sollte es auch anders sein? Aber dass wir uns einige Mittel nicht mehr erlauben, um mit ihnen unsrer Meinung zum Siege zu verhelfen, das hebt uns gegen jene Zeit ab und beweist, dass wir einer höhern Cultur angehören. Wer jetzt noch, in der Art der Reformations-Menschen, Meinungen mit Verdächtigungen, mit Wuthausbrüchen bekämpft und niederwirft, verräth deutlich, dass er seine Gegner verbrannt haben würde, falls er in anderen Zeiten gelebt hätte, und dass er zu allen Mitteln der Inquisition seine Zuflucht genommen haben würde, wenn er als Gegner der Reformation gelebt hätte. Diese Inquisition war damals vernünftig, denn sie bedeutete nichts Anderes, als den allgemeinen Belagerungszustand, welcher über den ganzen Bereich der Kirche verhängt werden musste, und der, wie jeder Belagerungszustand, zu den äussersten Mitteln berechtigte, unter der Voraussetzung nämlich (welche wir jetzt nicht mehr mit jenen Menschen theilen), dass man die Wahrheit, in der Kirche, habe, und um jeden Preis mit jedem Opfer zum Heile der Menschheit bewahren müsse. Jetzt aber giebt man Niemandem so leicht mehr zu, dass er die Wahrheit habe: die strengen Methoden der Forschung haben genug Misstrauen und Vorsicht verbreitet, so dass Jeder, welcher gewaltthätig in Wort und Werk Meinungen vertritt, als ein Feind unserer jetzigen Cultur, mindestens als ein zurückgebliebener empfunden wird. In der That: das Pathos, dass man die Wahrheit habe, gilt jetzt sehr wenig im Verhältniss zu jenem freilich milderen und klanglosen Pathos des Wahrheit-Suchens, welches nicht müde wird, umzulernen und neu zu prüfen.
Friedrich Nietzsche
Die Feste der frühen Epochen waren stark sexuell betont. Ihr Höhepunkt war oft das, was man heute Gruppensex nennt und als sozial rein negativ einstuft. Allerdings vermag Sexualität tatsächlich soziale Spannungen abzubauen, und sie 'befriedigt' nicht nur, sie befriedet auch. Der Mensch ist anthropologisch auf viel mehr Sexualkontakte angelegt, als unsere rigide Kultur uns erlaubt, ja, nur als 'menschenwürdig' hinstellt. Die als sogenannte unnennbare Unsittlichkeit abqualifizierten Sexualbräuche vieler Naturvölker wurden von den weißen Kolonialherren oft als willkommene Vorwände instrumentalisiert, um die betreffenden Stämme guten Gewissens zu drangsalieren und zu dezimieren. Künder des Islam im Orient und Vertreter des Konfuzianismus in China bemühten sich ihrerseits ebenso wie Weiße zwecks christlicher Mission, sexuelle Riten möglichst total auszurotten, wo immer sie noch auf sie trafen: Was vordem Kult war, wurde zur Unzucht umdefiniert. Die Praxis hat bei den meisten Naturvölkern dazu geführt, daß die betreffenden Rituale erloschen. Vergleichbare Sitten sind in der Frühzeit auf dieselbe Art verschwunden, zwar nicht aus denselben, aber aus ähnlich strukturierten Gründen, denn in allen patriarchalischen Ethnien gelten orgiastische Riten als sozialschädlich.
Gisela Bleibtreu-Ehrenberg
Sie haben Diktatur nicht erlebt, Frau Roth! Wenn sich alle einig sind, bedeutet das noch nicht, dass alle Recht haben!
Gunter Nooke
Es gibt Männer, die imstande sind, eine Frau, die sie in keiner Weise anzieht, zu heiraten—bloß weil sie den anderen gefällt. Und solche Ehen gibt es auch zwischen so manchen Menschen und ihren Gedanken.
Otto Weininger
Bleibtreu-Ehrenberg, Gisela
Bleu, Corbin
A
B
C
D
E
F
G
H
I
J
K
L
M
N
O
P
Q
R
S
T
U
V
W
X
Y
Z