Wir sind im Wesentlichen noch dieselben Menschen, wie die des Zeitalters der Reformation: wie sollte es auch anders sein? Aber dass wir uns einige Mittel nicht mehr erlauben, um mit ihnen unsrer Meinung zum Siege zu verhelfen, das hebt uns gegen jene Zeit ab und beweist, dass wir einer höhern Cultur angehören. Wer jetzt noch, in der Art der Reformations-Menschen, Meinungen mit Verdächtigungen, mit Wuthausbrüchen bekämpft und niederwirft, verräth deutlich, dass er seine Gegner verbrannt haben würde, falls er in anderen Zeiten gelebt hätte, und dass er zu allen Mitteln der Inquisition seine Zuflucht genommen haben würde, wenn er als Gegner der Reformation gelebt hätte. Diese Inquisition war damals vernünftig, denn sie bedeutete nichts Anderes, als den allgemeinen Belagerungszustand, welcher über den ganzen Bereich der Kirche verhängt werden musste, und der, wie jeder Belagerungszustand, zu den äussersten Mitteln berechtigte, unter der Voraussetzung nämlich (welche wir jetzt nicht mehr mit jenen Menschen theilen), dass man die Wahrheit, in der Kirche, habe, und um jeden Preis mit jedem Opfer zum Heile der Menschheit bewahren müsse. Jetzt aber giebt man Niemandem so leicht mehr zu, dass er die Wahrheit habe: die strengen Methoden der Forschung haben genug Misstrauen und Vorsicht verbreitet, so dass Jeder, welcher gewaltthätig in Wort und Werk Meinungen vertritt, als ein Feind unserer jetzigen Cultur, mindestens als ein zurückgebliebener empfunden wird. In der That: das Pathos, dass man die Wahrheit habe, gilt jetzt sehr wenig im Verhältniss zu jenem freilich milderen und klanglosen Pathos des Wahrheit-Suchens, welches nicht müde wird, umzulernen und neu zu prüfen.
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Essentially, we are still the same people as those in the period of the Reformation - and how should it be otherwise? But we no longer allow ourselves certain means to gain victory for our opinion: this distinguishes us from that age and proves that we belong to a higher culture. These days, if a man still attacks and crushes opinions with suspicions and outbursts of rage, in the manner of men during the Reformation, he clearly betrays that he would have burnt his opponents, had he lived in other times, and that he would have taken recourse to all the means of the Inquisition, had he lived as an opponent of the Reformation. In its time, the Inquisition was reasonable, for it meant nothing other than the general martial law which had to be proclaimed over the whole domain of the church, and which, like every state of martial law, justified the use of the extremest means, namely under the assumption (which we no longer share with those people) that one possessed truth in the church and had to preserve it at any cost, with any sacrifice, for the salvation of mankind. But now we will no longer concede so easily that anyone has the truth; the rigorous methods of inquiry have spread sufficient distrust and caution, so that we experience every man who represents opinions violently in word and deed as any enemy of our present culture, or at least as a backward person. And in fact, the fervor about having the truth counts very little today in relation to that other fervor, more gentle and silent, to be sure, for seeking the truth, a search that does not tire of learning afresh and testing anew.
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Section IX, "Man Alone with Himself" / aphorism 633.Friedrich Nietzsche
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Einer von uns beiden, ich weiß nicht mehr, welcher, kam darauf, vom geistigen Niedergang der Kultur als dem fundamentalen, unbeachteten Problem unserer Zeit zu sprechen. Da erfuhren wir, dass wir beide mit ihm beschäftigt waren. Keiner hatte es von dem anderen erwartet. Eine lebhafte Aussprache kam alsbald in Gang. Einer von dem anderen erfuhren wir, dass wir uns als Lebensaufgabe dasselbe vornahmen, sich um das Aufkommen der wahren, vom Humanitätsideal belebten und beherrschten Kultur zu bemühen, und die Menschen dazu anzuhalten, wahrhaft denkende Menschen zu werden. In diesem Bewusstsein der Zusammengehörigkeit verabschiedeten wir uns. (...) das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit blieb. Ein jeder verfolgte das Wirken des andern. Rudolf Steiners hohen Gedankenflug der Geisteswissenschaft mitzumachen, war mir nicht verliehen. Ich weiß aber, dass er in diesem so manchen Menschen mit emporriss und neue Menschen aus ihnen machte. In seiner Jüngerschaft sind hervorragende Leistungen auf so manchem Gebiete vollbracht worden.
Rudolf Steiner
Einen Menschen verstehen heißt also: auch er sein. Der geniale Mensch aber offenbarte sich an jenen Beispielen eben als der Mensch, welcher ungleich mehr Wesen versteht als der mittelmäßige. Goethe soll von sich gesagt haben, es gebe kein Laster und kein Verbrechen, zu dem er nicht die Anlage in sich verspürt, das er nicht in irgend einem Zeitpunkte seines Lebens vollauf verstanden habe. Der geniale Mensch ist also komplizierter, zusammengesetzter, reicher; und ein Mensch ist um so genialer zu nennen, je mehr Menschen er in sich vereinigt, und zwar, wie hinzugefügt werden muß, je lebendiger, mit je größerer Intensität er die anderen Menschen in sich hat.
Otto Weininger
Am meisten bedrückt mich, dass ich ein verantwortlicher Vertreter eines Systems war, unter dem Menschen gelitten haben, dass Repressionen gegen einzelne Menschen gerichtet waren, die wegen ihrer oppositionellen Haltung verfolgt wurden. Ihre Einstellung war die richtige. Meine Einstellung war die falsche. Wir waren nicht demokratiefähig, sondern haben versucht, mangels besserer Argumente uns der anderen Meinung mittels direkter Gewalt zu entledigen.
Translation: What upsets me the most is that I was an accountable representative of a system under which people suffered, also under which repression was aimed at individuals, who were persecuted because of their oppositional stance. Their position was the right one. My position was the wrong one. We were not capable of democracy, but rather tried in the absence of better arguments to get rid of the other opinion with direct violence.Gunter Schabowski
Sie haben Diktatur nicht erlebt, Frau Roth! Wenn sich alle einig sind, bedeutet das noch nicht, dass alle Recht haben!
Gunter Nooke
Ich besitze von ihm eine seiner Sinfonien, die ich zur Erinnerung an eines der größten Genies, die ich gekannt habe, aufbewahre. Ich habe von ihm nur dieses einzige Werk, weiß aber, dass er noch anderes Vortreffliches geschrieben hat.
Joseph Martin Kraus
Nietzsche, Friedrich
Niffenegger, Audrey
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